Vom Stern der die Sonne sehen wollte
Es war einmal ein junger Stern. Abend für Abend stand sie auf um die Menschen auf der Erde zu beobachten. Die Wolkenschafe erzählten ihr oft, was am Tage dort unten vorgegangen war und sie hörte ihnen zu. Der junge Stern aber wurde immer neugieriger. Wie war das - am Tag? Wie sah diese Sonne eigentlich aus? Sie fragte die Wolkenschafe danach. Doch die wussten es ihr nicht zu erklären. Nun saß der junge Stern Nacht für Nacht da und dachte darüber nach, wie sie es wohl anstellen sollte wenigstens einmal die Sonne zu sehen.
Eines Abends entschloss sie sich, einen Weg zu finden und fragte den Mond um Rat. Doch der hatte keine Zeit und verscheuchte den jungen Stern. Dann bat sie den Morgenstern um Hilfe. Der Morgenstern war sehr weise. Er hatte schon viel gesehen, denn er war nicht an Tag und Nacht gebunden und wusste daher, wie es zu beiden Zeiten auf der Erde zuging. Der junge Stern fragte: „Lieber Morgenstern, kannst du mir nicht helfen? Ich würde so gern einmal die Sonne sehen. Bitte hilf mir. Du bist doch der weise Morgenstern. Weißt du denn nicht Rat?“ Der Morgenstern sah sie verwundert an und überlegte. „Wieso willst du denn die Sonne sehen? Das ist viel zu gefährlich für einen jungen Stern wie dich.“ Aber der junge Stern ließ nicht nach bis der Morgenstern ihr erzählte wie sie auf die Erde gelangen könnte. „Ich gebe dir diesen kleinen Beutel voll Kometenstaub. Davon streust du etwas dem Mond in die Nase. Wenn er niest wird er dich auf die Erde pusten. Aber gib acht! Sobald du auf der Erde bist wirst du kein Stern mehr sein sondern wirst dich in einen Menschen verwandeln. Wenn der Mond das nächste Mal rund am Himmel steht, dann stell dich ans Meer und puste ihm wieder etwas Kometenstaub entgegen damit du zurück kehren kannst. Tust du es nicht, so wirst du als Mensch ein sterbliches Dasein fristen müssen und kannst nie mehr zurück.“ Der Morgenstern gab ihr einen kleinen braunen Beutel. „ Danke lieber Morgenstern“, sagte der junge Stern und machte sich auf zum Mond. „Pass gut auf dich auf und hüte dich vor...“ Doch da war sie schon verschwunden.
„Was willst du denn schon wieder hier?“, brummte der Mond als er den junge Stern kommen sah. „Ich habe hier etwas vom Morgenstern für dich“, gab der junge Stern zur Antwort. „Aha, und was bringst du mir vom alten Besserwisser?“ Da blies ihm der junge Stern den Kometenstaub in die Nase. „Was soll das werden? Hast du denn nichts besseres zu-zu-zhhu-zhhhu THUHUN!?!“ Der Mond musste furchtbar niesen. Der junge Stern wurde durch die Gegend gewirbelt und landete, zum Glück, auf einer, von Moos bewachsenen Lichtung. Es dauerte eine Weile bis der junge Stern begriff, was gerade geschehen war. Sie war wirklich auf der Erde, doch es war anders als sie es sich erdacht hatte. Es war kalt und dunkel. Ganz anders als die Wolkenschafe es erzählt hatten. Da saß sie nun und versuchte zu verstehen, was falsch gelaufen war.
Während dessen saß, weit oben im Norden, eine alte Frau vor ihrer Hütte und trank Stinkmorcheltee. Eine Katze schlich ihr um die Beine und ihr eigentlich schwarzes Fell schimmerte wie Öl in den selben Farben, wie sie das Nordlicht über ihnen warf. Als die Alte das Leuchten sah, dass der Stern hinterließ als er auf die Erde fiel, ließ sie vor Schreck ihre Tasse fallen. Sie stand auf, lief ins Haus und zog ein dickes, staubiges Buch aus einem sehr, sehr alten Regal. Sie schlug es in der Mitte auf und blätterte ein paar Seiten weiter. Sie öffnete eine Seite auf der ein kleiner Punkt mit langen Strahlen zu sehen war. Darunter standen Zauberformeln und Mixturen in einer alten Sprache die heute lange niemand mehr verstehen kann. Doch diese Hexe war schon so alt, dass sie auch diese Sprache noch kannte. Sie laß ein paar Zeilen. Dann schlug sie das Buch wieder zu, ging zu einem anderen Schrank und nahm aus einem Fach, in dem nur noch 2 schwarze Kerzen lagen, eine der beiden heraus. Diese Kerzen waren aus sehr seltenen Zutaten gemacht. So enthielten sie neben anderen Dingen die Kralle eines Greifen und eine Phönixfeder. Zündete man solch eine Kerze an, musste man nur noch an einen bestimmten Ort oder eine bestimmte Person denken und schon war man da. Und darum nahm die Hexe des Nordlichts die Kerze mit nach draußen, rief ihre Katze und entzündete die Kerze. Sie dachte an den Stern und war schon mit ihrer Katze verschwunden. Und im selben Moment erlosch auch das Nordlicht über der Hütte.
Der junge Stern sah sich verwundert um als über ihr bunte Bänder über den Himmel flatterten. Sie kannte diese Lichter aber hatte sie immer nur aus weiter Ferne gesehen. Im Gebüsch hinter ihr raschelte etwas. Sie drehte sich um und sah die Katze auf sich zu laufen. Hinter der Katze kam eine alte Frau aus dem Gebüsch. „Oh, hallo hübsches Kind. Wie schön, dass ich doch noch jemanden so spät treffe.“, sagte die Alte. „Was ist dir denn geschehen?“, fragte der junge Stern. „Ach, ich habe mich verirrt und bin erschöpft. Ich war im Wald um Kräuter für meinem Tee zu suchen als es dunkel wurde. Aber dann habe ich ein leuchten am Himmel gesehen, und dachte dort wären Menschen.“, gab die Alte zur Antwort. „Bis eben war es noch dunkel. Aber dann tauchten diese Lichter auf.“ „Oh ja,“ lächelte die Alte. „Das liegt an meiner Katze. Ihr Fell schimmert so stark, dass der Himmel es spiegelt. Siehst du?“ Die Alte zeigte auf die Katze vor ihren Füßen und dann in den Himmel. Der junge Stern folgte ihrem Finger mit den Augen und staunte. „Würdest du mir helfen nach Hause zu kommen?“ fragte die Alte. „Wo wohnst du denn Mütterchen?“ „Es ist nicht weit. Ein paar Minuten Richtung Norden.“ Der junge Stern willigte ein und sie gingen los. 3 Schritte später hielt die Alte schon wieder an. „Es ist so dunkel hier. Lass mich eine Kerze anzünden damit wir den Weg besser finden.“ Und sie nahm die schwarze Kerze aus ihrer Tasche, hakte sich bei dem jungen Stern unter und entzündete die Kerze an einem Streichholz. Die Flamme loderte hoch auf und die beiden verschwanden. Ebenso wie das Nordlicht.
In einem Gebüsch an der Lichtung raschelte es erneut. Ein zerzauster Haarschopf lugt oben heraus. Er drehte sich erst nach links und rechts bevor der Rest aus dem Gebüsch hervor kam und einen Jungen mit zerrissenen, schmutzigen Sachen preis gab. Er war ein Straßenjunge aus dem Dorf hinter dem Wald, der sich sein Essen stehlen musste, denn er hatte nichts und niemanden. So schlief er mal hier und mal dort. In dieser Nacht hatte er nur noch im Wald eine Ruhestätte gefunden. Er hatte geschlafen, bevor der junge Stern auf die Lichtung gefallen war. Er hatte sie beobachtet und wollte sie gerade ansprechen, als es plötzlich hell wurde und die Hexe des Nordlichts neben ihm aufgetaucht war. Er hatte alles gesehen und gehört aber jetzt, wo sie beide wieder verschwunden waren wollte er nicht weiter darüber nachdenken. Er legte sich wieder hin und schlief ein.
Die Hexe des Nordlichts war mit dem jungen Stern inzwischen an ihrer Hütte angekommen. „Ich danke dir mein Kind. Komm! Ich will dir eine Tasse Tee und Kekse bereiten für dein bemühen.“ „Ich danke dir Mütterchen. Aber ich darf nicht zu lang bleiben. Sonst verpasse ich die Sonne. Weißt du, deshalb bin ich her gekommen: ich möchte einmal die Sonne sehen.“ „Aber natürlich“, gab die Hexe zurück. „Doch bis dahin kannst du mir ja von dir erzählen. Und ich hab ein wenig Gesellschaft.“ Der junge Stern stimmte lächelnd zu und sie gingen hinein. Doch die Hexe war voll von Bosheit. Und so mischte sie, anstelle des Tees, eine Mixtur zusammen, die den stärksten Mann in einen hundertjährigen Schlaf versetzen konnte. Die Kekse hingegen waren aus Krähenmilch, Koboldgras und Birkwurzschuppen – eine Mischung, die einen sogar vergessen lässt wie man heißt. Sie brachte Tee und Kekse dem jungen Stern und freute sich schon. Doch sie hatte nicht bedacht, dass ihre Mixturen nur auf Menschen und Tiere wirkten. Der Stern aber war kein gewöhnlicher Mensch. Sie wurde müde und schlief ein und sie vergaß warum sie auf die Erde gekommen war.
Der Tag brach an, ohne das der junge Stern etwas davon mitbekam. Der Straßenjunge erwachte in seinem Gebüsch und blinzelte in den Morgen. Bevor er zurück ins Dorf ging sah er sich noch einmal um und erblickte einen kleinen, braunen Lederbeutel auf der Lichtung. Er hob ihn auf und sah hinein. Es funkelte und glitzerte darin. Er wollte hinein greifen doch da schnürte sich der Beutel wie von Zauberhand zu. Er öffnete ihn erneut und versuchte den Inhalt in seine Hand zu schütten. Doch auch dieses Mal schnürte sich der Beutel zu ohne seinen Inhalt preis zu geben. Verärgert steckte er ihn in seine Tasche und machte sich auf zum Dorf. Der Tag verging schnell, doch ihm kam ständig das Mädchen von der Lichtung in den Sinn. Am Abend ging er wieder in den Wald um sich an der selben Lichtung einen Schlafplatz zu suchen. Der Mond stand wie ein grinsender Mund über den Bäumen. Der Straßenjunge wollte es sich gerade auf einem Mooskissen bequem machen als ihm der Beutel aus der Tasche fiel und im Moos landete. Ein wenig Kometenstaub rieselte unbemerkt heraus. Der Straßenjunge hob den Beutel auf, steckte ihn ein und legte sich schlafen. In dieser Nacht hatte er einen seltsamen Traum. Er flog dem Mond entgegen, bog nach rechts ab und stand kurz danach vor dem Morgenstern. „Du musst den Stern finden“ sagte der Morgenstern. „Bring ihr den Beutel den du in deiner Tasche hast. Du musst ihr helfen oder sie ist verloren.“ „Wie soll ich zu ihr finden. Ich kann ja nicht einmal mein Essen bezahlen. Wie soll ich mir da eine Kutsche leisten können?“ „Geh zum Mond und bitte ihn um eines seiner Kälber. Mit ihm kannst du des Nachts reisen.“ Der Straßenjunge verneigte sich und kehrte zum Mond zurück. „Ich brauche ein Kalb von dir!“ sagte er. „Wer bist du, dass du solche Ansprüche stellst? Weißt du überhaupt was du verlangst? Du willst ein Kalb von mir? Einfach so? Was hab ich davon?“, donnerte der Mond verärgert. „Der Morgenstern schickt mich den jungen Stern zu suchen. Ich soll mit einem deiner Kälber reisen um es rechtzeitig zu schaffen“ gab der Straßenjunge unerschrocken zurück. „Was geht mich ein Stern an? Davon gibt es genug.“ Doch der Straßenjunge gab nicht nach. Er redete auf den Mond ein bis er die Hexe des Nordlichts erwähnte. „Was sagst du da? Diese alte Hexe will also noch heller strahlen können. Sie versucht schon seit Ewigkeiten mein Leuchten zu übertreffen. Wenn du es schaffst sie zu finden wäre das auch für mich gut.“ Der Mond überlegte kurz und sagte dann: „Ok, einverstanden. Du bekommst ein Kalb von mir. Aber reise nur in meinem Licht. Wenn der Tag anbricht kehrt es zu mir zurück und nach der Dämmerung schicke ich es wieder zu dir. Doch verdunkeln die Wolkenschafe mein Licht wird das Kalb sich nicht vom Fleck rühren. Dann musst du zu Fuß weiter.“ Der Straßenjunge bedankte sich und machte sich auf den Weg zurück zur Erde. Er erwachte beim ersten Sonnenschein, streckte sich und klopfte den Dreck aus seinen Kleidern. Als er sich den Schlaf aus den Augen rieb bemerkte er den Kometenstaub und erinnerte sich an die letzte Nacht. Auch, wenn er es noch nicht ganz wahr haben wollte, machte er sich daran alles vorzubereiten. Eine Karte war nicht schwer zu bekommen, denn es hingen überall welche aus. Wer aber konnte ihm sagen, wo die Hexe des Nordlichts zu finden war. Er fragte überall doch niemand wollte ihm Antwort geben. So stahl er sich nebenbei noch etwas zu Essen – nur um seinen Hunger zu stillen.
Unterdessen war die Hexe des Nordlichts dabei den jungen Stern zu waschen, während diese tief und fest schlief. Die Hexe war in den Vorbereitungen für die Zeremonie vertieft, mit der sie dem jungen Stern das Leuchten nehmen wollte. Den ganzen Tag sammelte sie Gräser, Moose, Pilze und andere Dinge die sie für diesen komplizierten Zauber benötigte. Es sollte nicht mehr lange dauern bis alles vorbereitet wäre.
Die Nacht brach herein. Der Straßenjunge hatte den Nachmittag über geschlafen und war noch immer nicht wach. Eine raue, schlabberige Zunge weckte ihn. Er drehte sich schläfrig zur anderen Seite. Da blökte es es direkt neben ihm und er wich erschrocken zurück. Dabei stieß er sich so sehr den Kopf an einem Baum, dass ihm für kurze Zeit schwarz vor Augen wurde. Vor seinen Augen tanzten Sterne. Er sah umher. Woher war das Geräusch gekommen? Und da erblickte er ein silbern-matt glänzendes Kalb. „Es ist also doch war“, sagte er zu sich und ging auf das Tier zu. Beim versuch das Tier zu berühren wanderte seine Hand vorsichtig zu dessen Hals. Als er ihn berührte fuhr es ihm eiskalt durch alle Knochen. Ein unangenehm, betäubendes Gefühl. Er verkrampfte, knickte mit den Knien weg und schlug mit dem Gesicht auf nassen Sand. Seine Hand löste sich vom Kalb. Ihm war schwindelig und alles drehte sich. Hinter seinem Bauchnabel spürte er immer noch ein kräftiges ziehen. Die Sonne ging gerade am Horizont über einem dunkelblauen Meer auf, an dessen Strand der Straßenjunge erschöpft einschlief.
Die Hexe des Nordlichts war in dieser Nacht dabei gewesen die verschiedenen Mixturen anzurühren. „Huäh! Hab ich gut geschlafen. Was tust du denn da Mütterchen?“ Die Hexe ließ vor Schreck ein Fläschchen fallen, dass auf dem Holzboden zerbrach und in einer kleinen schwarzen Gewitterwolke aufging. „Wieso bist du denn wach?“ rief die Hexe wütend. Doch dann besann sie sich auf ihr Ziel. „Komm, ich mache dir eine Suppe und du nimmst solang ein schönes Bad.“ Die Hexe ließ ihr Wasser ein. „Willst du nicht bei mir bleiben und mir im Haushalt helfen? Es soll dir an nichts fehlen.“ Und da der junge Stern vergessen hatte, warum sie eigentlich auf die Erde gekommen war, blieb sie gern. Am Tage schlief sie in einer verzauberten Kammer, die kein bisschen Licht hinein ließ. Nachts putzte sie die Zimmer, half in der Küche und sammelte Kräuter und Zutaten. Ohne es zu wissen bereitete sie so ihr eigenes Ende.
Der Straßenjunge erwachte in der Dämmerung. Sich an die letzte Nacht erinnernd sah er sich um. Hunger hatte er keinen. Aber er dachte an die seltsame Reise. Er konnte sich nicht mehr erinnern wie er aus dem Wald an den Strand gekommen war.
Der letzte Schimmer der Sonne war verschwunden. Kurz darauf erschien das silbern, matte Leuchten des Mondkalbs, das vom Mond auf den Straßenjungen zu lief. Hinter ihm stoben kleine Funken durch die Luft. Es landete mit einem dumpfen Schlag vor ihm im Sand und blökte einmal laut. Dem Straßenjungen war nicht wohl bei dem Gedanken an das seltsame Gefühl der letzten Reise. Dennoch ging er, nach einem erschöpften Blick gen Nachthimmel, zu dem Kalb und berührte es. Es begann wie am Vorabend und endete wieder damit, dass sein Gesicht auf dem Boden aufschlug. Diesmal landete er auf einem zerfurchten, mit großen Feldsteinen übersäten Acker. Das Kalb verschwand und mit dem ersten Sonnenstrahl schlief er neben einem großen Stein ein.
Die nächsten vier Tage schlief er auf einem Berg, in einer Scheune, an einem großen See und auf einer Wiese. In der Nacht reiste er mit dem Mondkalb. Von der Reise selbst bekam er wie je nichts mit. Am siebten Abend seiner Reise erwachte er nun auf der Wiese. Die Sonne war bereits verschwunden. Aber nirgends ein Zeichen vom Mondkalb. Er überlegte eine Weile was geschehen sein könnte, als er bemerkte, dass auch der Mond nicht zu sehen war. „Doch verdunkeln die Wolkenschafe mein Licht wird es sich nicht erheben können“, hatte der Mond gesagt. Da hörte er es in der Dunkelheit blöken. Seine Augen gewöhnten sich nur langsam an die schwarzen Schatten. Dann sah er das Kalb dort stehen. Kein silbern-mattes Schimmern sondern aschgrau war es. Das bedeutete also, dass er in dieser Nacht zu Fuß weiter musste. Aus Angst, das Kalb zu berühren nahm er einen Strick aus seiner Tasche und warf ihn dem Kalb um den Hals. Er wandte sich zum gehen, aber irgendetwas war seltsam. Der Strick schleifte auf seiner rechten über die Erde und das Kalb blökte von der anderen Seite. Er nahm den Strick und warf erneut. Er hatte das Kalb nicht verfehlt aber der Strick landete wieder auf der Erde. Er war direkt hindurch gefallen. Er ging ein paar Schritte um zu überlegen was er tun sollte- und das Kalb folgte ihm. Da beschloss er einfach weiter zu gehen. Doch in welche Richtung? In Gedanken fragte er das Kalb, aber das blökte nur zurück. Dann fiel ihm der Beutel wieder ein. Er nahm eine Priese und streute sie sich auf den Kopf. Da wandelte sich sein Blick und er sah die Hütte der Hexe und den ganzen Weg dort hin. Er steckte den Beutel wieder ein, doch auch diesmal fiel etwas Kometenstaub heraus und landete auf seinen Beinen und Schuhen. Er wollte gerade den ersten Schritt in Richtung der Hütte machen, da stand er schon mitten in einem Wald unweit der Hütte. Ein weiterer Schritt und er stand am Rande der kleinen Lichtung, auf der die Hütte gebaut war.
Die Reise war also zu ende, aber wie sollte er die Hexe des Nordlichts besiegen? Sie war viel zu mächtig, als dass er es hätte mit ihr aufnehmen können. Er beschloss sie erst einmal zu beobachten und kletterte auf eine uralte Eiche die von einem Blitz an der Spitze geborsten worden war. Im Inneren war sie fast hohl und so kroch er hinein und wartete. Es dauerte etwas bis sich etwas tat. Als erstes lief die Katz aus dem Haus und der Himmel spiegelte die bunten Schleier von ihrem Fell. Hinter ihr trat der junge Stern ins Freie. Sie sah zufrieden aus. Mit einem Korb am Arm machte sie sich auf in den Wald um die Kräuter zu sammeln, die die Hexe verlangte. Als sie unter der alten Eiche stand ließ der Straßenjunge ein wenig Kometenstaub auf den jungen Stern herab rieseln. Er hoffte sie so von der Hexe befreien zu können. Doch nichts geschah. Der junge Stern ging tiefer in den Wald und war schnell aus dem Blick des Straßenjungen verschwunden. Kurz darauf kam die Hexe des Nordlichts aus der Hütte. Der Gestank, den ihr Stinkmorcheltee verbreitete, wehte zu der alten Eiche hinüber. Dem Straßenjungen wurde übel doch er riss sich zusammen um sein Versteck nicht zu verraten. Nachdem die Hexe ihre Tasse gelehrt hatte ging sie wieder hinein um mit den Vorbereitungen fort zu fahren. In diesem Moment kletterte er hinab und sammelte allen Mut zusammen. Er ging auf die Hütte der Hexe des Nordlichts zu und stellte sich vor die Treppe. „Wohnt hier die große und mächtige Hexe des Nordlichts?“ rief er. „Wer da?“ kam es aus der Hütte zurück. Was sollte er nun sagen? Er wusste ja nicht über welche Kräfte die Alte verfügte. Er überlegte kurz und dann rief er: „Mein Meister schickt mich. Ich soll bei euch in die Lehre. Mein Meister sagt, ihr seid die mächtigste Hexe weit und breit und seit allen Zeiten. Daher schickt er mich zu euch.“ So etwas hörte die Hexe gern. Sie öffnete die Tür und winkte den Straßenjungen herein. „Komm, komm! Bei mir sollst du lernen.“ Der Straßenjunge nahm all seinen Mut zusammen und trat hinein. So groß sah die Hütte von außen gar nicht aus. Überall standen Regale und Schränke voll Bücher, Töpfe, Ampullen und Flaschen. „Komm herein und ich zeige dir alles. Hier drüben stehen die Bücher mit den Beschwörungsformeln, hier sind die Zutaten für alle Krankheiten und Gegenmitteln und dort stehen die Bücher und Zutaten für kleinere Zauber. Damit wirst du anfangen.“
„Und was ist das für ein großes Buch dort? Das schwarze meine ich, auf dem Pult.“ „Das ist der Koraktor! Das schwarze Buch der Künste“, sagte die Hexe des Nordlichts voll stolz und Hochmut. „Nun aber zu dir mein Junge. Was ist deines Meisters Pfand für deine Lehre bei mir?“ Der Straßenjunge sah sie fragend an. „Er hat dir doch wohl etwas als Bezahlung gegeben.“ „Oh, das meint ihr. Verzeiht mir diese Dummheit.“ Er nahm den kleinen Beutel hervor und sagte: „Dies` Zauberpuder hab ich beim Meister erhalten. Er sagte, damit würde ich jeden Zauber schaffen, den ihr als Aufnahmeprüfung mir auferlegen würdet.“ antwortete der Straßenjunge ohne zu wissen was er da sagte. „Richtig! Der Eignungszauber! Ich hatte schon lange keinen Lehrling mehr.“ Sagte die Hexe und lachte schauerlich. „Als dann. Welchen Zauber willst du mir vorführen, dass ich urteilen soll?“ „Es soll ein recht mächtiger Zauber sein hat mir der Meister gesagt.“ „Dann sollst du beginnen“ sprach die Hexe. Der Straßenjunge nahm den Beutel und wollte gerade hinein greifen, da öffnete sich die Tür und der junge Stern trat hinein. Erstaunt sah sie den Straßenjungen an. Sie stellte ihren Korb langsam auf einem Tisch ab, ohne ihren Blick von ihm zu lösen. Auch der Straßenjunge sah sie an und vergaß für einen Moment wo er sich befand. „Endlich sehe ich dich wieder“ sagte er. „Ich kenne dich. Ich habe dich schon oft gesehen, wenn ich die Menschen des nachts beobachtet habe.“, gab der junge Stern zurück. „Woher willst du sie kennen?“, donnerte die Hexe. „Das kann nicht sein! Wer bist du?“ Der Straßenjunge besann sich. Die Hexe des Nordlichts ging auf ihn zu und wollte zu einem Zauberspruch ansetzen. Da fiel ein dünner Lichtstrahl zwischen den Wolkenschafen durchs Fenster und blendete sie. Der Straßenjunge zögerte nicht und blies den Kometenstaub aus seiner Hand der Alten entgegen und rief: „Ich bin der Gesandte des Morgensterns und bin hier um den Stern zu befreien und dich zu besiegen.“ Der Kometenstaub flog in einer dichten Wolke auf die Hexe zu. Der Strahl aus Mondlicht ließ ihn größer und dichter werden bis die Hexe ganz darin verschwunden war.
Die Hütte begann zu beben. Der Straßenjunge nahm den jungen Stern bei der Hand und lief mit ihr hinaus. Die Wände, der Boden und alles in der Hütte zerbarst unter dem Beben und alles fiel in Schutt und Asche. Nur die dichte Wolke aus Kometenstaub schwebte ein paar Zentimeter über der Erde. „Welche Gestalt wünscht du dir?“ Die tosende Stimme schien aus der Wolke zu kommen und der Straßenjunge antwortete: „Ein Glühwürmchen soll sie werden und für immer bleiben, denn sie wollte des Nachts leuchten.“ Da verflog die Wolke und ein kleiner grüner Punkt schwirrte auf den Straßenjungen zu. Ein kleines Glühwürmchen tanzte vor seiner Nase hin und her. Der junge Stern sah den Straßenjungen an und sagte: „Ich danke dir. Jetzt weiß ich wieder warum ich auf die Erde gekommen bin. Ich wollte einmal die Sonne sehen.“ „Dann komm!“, antwortete der Straßenjunge. „Ich bringe dich an einen Ort von dem aus du die Sonne am besten sehen kannst.“ Und er nahm sie bei der Hand und pfiff drei Mal ganz laut. Da kam das Mondkalb über die Bäume geflogen und landete vor den beiden im Moos. „Komm! Die Sonne geht bald auf.“,sagte er und berührte das Mondkalb, dass jetzt wieder silbern-matt glänzte. Im nächsten Moment landeten sie auf einem kleinen Fleckchen Wiese an einer Klippe. Das Mondkalb machte sich auf den Weg zurück zum Mond. Die beiden aber setzten sich auf den Rand der Klippe und sahen zum Horizont, an dem sich ein heller Streifen zwischen Himmel und dem schwarzblauen Meer abzeichnete.
„Ich hab dich lieb“, sagte der Straßenjunge. „Und ich hab dich lieb“, sagte der junge Stern und nahm wieder seine Hand. „Darf ich bei dir bleiben?“ Der Straßenjunge sah sie an und antwortete: „Ja, bleib bei mir!“
In diesem Moment ging die Sonne leuchtender und schöner
als jemals zuvor über dem Meer auf und tauchte alles
in ein leuchtendes Schweigen.
„Ja, bleib bei mir!“ sagte der Straßenjunge. Und sie blieb bei ihm. Die schwarze Katze streift noch heute durch die Wälder um die Hütte. Und der Himmel spiegelt immer noch das Schimmern ihres Fells. Denn dies ist ein Märchen
und wenn sie nicht gestorben sind,
dann leben sie noch heute.